Der spontane Realismus oder kurz Spontanrealismus, ein in Österreich verwurzelter Malstil des 20. Jahrhunderts, stellt eine faszinierende Synthese aus detailgetreuer Darstellung und expressiver, beinahe explosionsartiger Malweise dar. Er ist mehr als nur eine Abbildung der Realität; er ist eine subjektive Interpretation, die durch die Linse der Emotion und des Augenblicks gefiltert wird. Die Ursprünge dieses Stiles lassen sich unter anderem auf Künstler wie Voka und Erwin Kastner zurückführen, die durch ihre Arbeiten die Grenzen des traditionellen Realismus aufbrachen und ihn mit der Spontaneität des Expressiven verschmolzen.
Der Begriff „Spontan“ ist dabei von zentraler Bedeutung und trägt eine vielschichtige Bedeutung. Er impliziert das Plötzliche, das Ungeplante, das Handeln ohne langwierige, bewusste Reflexion. Es ist ein Ausdruck eines inneren Antriebs, eines Impulses, der sich in der Kunst manifestiert und oft für den Betrachter überraschend und unerwartet daherkommt. Der Malstil entsteht in der Dynamik des Augenblicks, ist ein Produkt der unmittelbaren Reaktion des Künstlers auf seine Umgebung und seine inneren Empfindungen. Die momentane Gefühlslage des Künstlers ist somit ein entscheidender Faktor für die Entstehung eines spontanrealistischen Kunstwerks. Sie fliesst unmittelbar in die Darstellung seiner persönlichen Realität ein, prägt die Farbgebung, die Linienführung und die gesamte Komposition. Der Begriff „Realismus“ hingegen, in dieser speziellen Kombination, steht für die Annäherung an die Wirklichkeit, für die Bemühung, die sichtbare Welt in ihrer Substanz und Form wiederzugeben. Es ist das Bestreben, die Realität zu erfassen und in einer Weise darzustellen, die für den Betrachter erkennbar und nachvollziehbar ist. Allerdings wird diese Realität im Spontanrealismus nicht einfach nur kopiert, sondern durch die subjektive Brille des Künstlers gebrochen und neu interpretiert. Die Verbindung dieser beiden Elemente – Spontaneität und Realismus – führt zu einer einzigartigen künstlerischen Ausdrucksform. Es bedeutet, etwas, das „mit der Wirklichkeit übereinstimmend“ ist, „ohne bewusste Überlegung“ und aus der Tiefe der momentanen Gefühlslage heraus darzustellen. Es ist ein Tanz zwischen Kontrolle und Chaos, zwischen Präzision und Instinkt.
Die visuellen Merkmale des Spontanrealismus sind unverkennbar. Typisch sind realistische Porträts, die Gesichter mit all ihren Falten, Narben und Ausdrucksformen einfangen, oder lebendige Szenen aus dem Alltag, die eine Momentaufnahme der menschlichen Existenz darstellen. Diese Motive werden jedoch nicht einfach nur abgebildet, sondern mit einer Intensität und Ausdruckskraft versehen, die weit über die reine Wiedergabe hinausgeht.
Kräftige, meist leuchtende Farben dominieren die Leinwand oder das Papier und verleihen den Werken eine dynamische und energiegeladene Atmosphäre. Schnelle, energische Pinselstriche, die manchmal fast wie ein Aufschrei wirken, unterstreichen die Spontaneität des Schaffensprozesses und vermitteln dem Betrachter das Gefühl, Zeuge eines explosiven kreativen Moments zu werden. Die Werke wirken lebendig, emotional aufgeladen und gleichzeitig, paradoxerweise, technisch präzise. Diese Präzision ist jedoch nicht die einer akademischen Perfektion, sondern die einer bewussten Kontrolle des „kontrollierten Chaos“, einer Beherrschung der Technik, die es dem Künstler ermöglicht, seine Emotionen und Impulse ungehindert auszudrücken.
Die Realität dient dem Künstler als Fundament, als Ausgangspunkt, wird aber mit grosser Freiheit und Ausdrucksstärke überarbeitet, verfremdet und neu interpretiert. Es entsteht eine Art kontrolliertes Chaos, ein spannungsvolles Zusammenspiel von Ordnung und Unordnung, das den Betrachter in den Bann zieht und ihn dazu einlädt, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Der Spontanrealismus ist somit mehr als nur ein Malstil; er ist eine Lebenseinstellung, ein Plädoyer für die Freiheit des Ausdrucks und ein Zeugnis der Kraft der menschlichen Emotion.
Alle Bilder des Spontanrealismus entwickeln sich nicht nach einem vorgefertigten Plan, sondern entspringen einer unmittelbaren, fast ungefilterten Quelle. Der Künstler agiert hier als Medium, das seinen inneren Antrieb in Farbe und Form übersetzt. Anstatt ein Konzept oder eine detaillierte Skizze zu verfolgen, lässt er sich von seiner momentanen Gefühlslage leiten, ein Zustand, der oftmals flüchtig und schwer fassbar ist. Diese Hingabe an das Augenblickliche führt zu überraschenden Ergebnissen: Die Bilder mögen zwar auf realen Vorbildern basieren, doch diese dienen lediglich als Ausgangspunkt für eine kreative Reise, die von der momentanen Intuition des Künstlers bestimmt wird. Es ist, als ob die Realität durch einen Filter emotionaler Wahrnehmung betrachtet und auf die Leinwand gebracht wird.
Zentral für den „Spontanrealismus“ ist stets die Emotion, die den Schaffensprozess antreibt. Nicht das Motiv an sich – also das abgebildete Objekt oder die Szene – ist ausschlaggebend für die künstlerische Entscheidung, sondern vielmehr die Motivation, das innere Bedürfnis, das hinter der Darstellung steht. Es geht darum, ein Gefühl zu vermitteln, eine Stimmung einzufangen und eine Verbindung zum Betrachter auf emotionaler Ebene herzustellen. Der Spontanrealismus ist somit weniger eine Darstellung der äußeren Welt, sondern vielmehr eine Reflexion der inneren Welt des Künstlers, projiziert auf die Leinwand und geformt durch den Moment der Schöpfung. Die Technik dient hier der unmittelbaren Ausdruckskraft, nicht der exakten Wiedergabe.